Demografischer Wandel: Risiko für Wachstum, Chance für Anleger

Erschienen im Standard, im April 2025

Der demografische Wandel ist keine ferne Zukunftsfrage mehr – er prägt schon heute Wirtschaft, Gesellschaft und Kapitalmärkte. Während eine alternde Bevölkerung das Wirtschaftswachstum bremst, entstehen für Investoren neue Chancen. Der Schlüssel liegt darin zu erkennen, welche Anlageklassen und Sektoren davon profitieren können – und welche nicht.

Die Babyboomer gehen – und hinterlassen Lücken

In vielen westlichen Industriestaaten stehen Millionen Babyboomer (Geburtsjahrgänge 1946–1964) kurz vor dem Ruhestand oder sind bereits pensioniert. In der Eurozone wird die Zahl der Erwerbstätigen bis 2040 um 6,4 Prozent zurückgehen. Das bremst das Wirtschaftswachstum: Pro Jahr könnte das Bruttoinlandsprodukt um rund 0,25 Prozentpunkte langsamer steigen. In den USA ist dieser Effekt durch Zuwanderung etwas abgeschwächt – doch auch dort ist der demografische Druck spürbar.

Kein Massenverkauf, kein Crash – noch nicht

Bereits in den 2000er-Jahren kursierte die These vom “Asset Meltdown”: Mit dem Ruhestand der Babyboomer, so die Theorie, würden diese massenhaft Immobilien und Wertpapiere verkaufen – mit verheerenden Folgen für die Märkte. Doch dazu ist es bislang nicht gekommen.

Ein Grund: Viele ältere Menschen in Europa und den USA besitzen schuldenfreie Immobilien und verfügen über zusätzliche Einkünfte aus Pensionsfonds und Sozialversicherungen. Sie müssen ihre Vermögenswerte nicht sofort liquidieren, um den Lebensunterhalt zu sichern. Gleichzeitig zeigt sich diese Generation überraschend sparsam. Laut Studien ist die Sparquote der über 60-Jährigen in Ländern wie Österreich, Deutschland, Japan oder den USA in den letzten Jahren gestiegen – trotz Renteneintritts.

Die Macht der Älteren: Vermögen und Einfluss

Die älteren Generationen kontrollieren einen erheblichen Teil des weltweiten Privatvermögens. In den USA gehörten laut Federal Reserve im Jahr 2022 rund 73 Prozent der Haushaltsvermögen Personen über 55 Jahren – ein Trend, der sich in Europa und großen Schwellenländern wie China oder Brasilien ähnlich zeigt. Das bedeutet: Die Konsum- und Investitionsentscheidungen dieser Gruppe beeinflussen zunehmend die Märkte. Auch wenn ein abrupter Preisverfall bei Aktien und Immobilien bisher ausblieb, rechnen Experten langfristig mit einem Dämpfer für die Kursdynamik.

Historisch gesehen waren Aktien eine verlässliche Quelle für reale Kapitalerträge. Doch was bisher galt, muss nicht so bleiben – besonders in einer alternden Gesellschaft wie Österreich. Die durchschnittliche reale Rendite österreichischer Aktien von 1900 bis 2022 lag bei etwa 4,5 Prozent pro Jahr. Doch dieser langfristige Schnitt könnte künftig schwerer erreichbar sein. Sinkende Bevölkerungszahlen, niedrigere Produktivität und steigende Gesundheitskosten könnten die Erträge langfristig schmälern.

Gewinner des Wandels: Branchen mit Perspektive

Nicht alle Sektoren verlieren. Einige könnten sogar deutlich profitieren:

  • Gesundheitswirtschaft: Die steigende Lebenserwartung erhöht die Nachfrage nach Medikamenten, Diagnostik, Medizintechnik und Pflegeangeboten. Hersteller von Generika oder kostensparenden Lösungen sind besonders gefragt. Der globale Markt für digitale Gesundheitslösungen war laut Fortune Business Insights im Jahr 2022 375,99 Milliarden US-Dollar wert und prognostiziert ein Wachstum auf 1965,30 Milliarden US-Dollar bis 2030.
  • “Silver Economy”: Ältere Konsumenten geben viel Geld für Reisen, Wellness, gehobene Gastronomie und maßgeschneiderte Dienstleistungen aus. Anbieter von Kreuzfahrten oder hochwertigen Seniorenresidenzen profitieren vom demografischen Wandel. Auch Technologieunternehmen, die etwa smarte Pflegelösungen oder altersgerechtes Wohnen ermöglichen, gewinnen an Bedeutung.
  • Dividendenstarke Aktien: Mit dem Alter verändert sich die Risikobereitschaft. Studien zeigen: Viele ältere Anleger bevorzugen stabile Erträge gegenüber spekulativem Wachstum. Aktien mit soliden Dividenden werden dadurch attraktiver – nicht nur wegen des regelmäßigen Einkommens, sondern auch als Ersatz für niedrig verzinste Anleihen.

Blick über den Tellerrand: Wo das Wachstum wohnt

  • Indien: Indien ist jung, wachsend und digitalisierend. Fast die Hälfte der Bevölkerung ist unter 25 Jahre alt. Eine aufstrebende Mittelschicht und politische Reformen machen das Land interessant für langfristige Investments – auch wenn kurzfristig bereits viel Optimismus in die Aktienbewertungen eingepreist ist.
  • Subsahara-Afrika: Länder wie Kenia, Nigeria oder Äthiopien haben demografisches Potenzial: junge Bevölkerung, steigende Urbanisierung, wachsender Konsum. Doch instabile Institutionen und Korruption hemmen das wirtschaftliche Wachstum bislang. Wer hier investieren will, braucht einen langen Atem – und gute Risikoabsicherung.
  • Langfristig denken, demografisch investieren: Der demografische Wandel ist kein Schock, der plötzlich eintritt. Er ist ein langsamer, aber mächtiger Prozess mit weitreichenden Folgen für uns alle. Wer die richtigen Trends erkennt, kann nicht nur Risiken vermeiden, sondern gezielt Chancen nutzen.

Gesundheit, Pflege, Technologie, Infrastruktur und dividendenstarke Aktien könnten zu den großen Gewinnern gehören. Entscheidend ist, nicht nur auf Konjunkturzyklen zu achten – sondern auf strukturelle Veränderungen. Denn diese sind, wie der demografische Wandel selbst, weit zuverlässiger prognostizierbar als viele ökonomische Entwicklungen. (Bernhard Führer, 18.4.2025)