Langfristig investieren: Chancen nutzen, Risiken verstehen
Erschienen im Standard, im November 2024
Strategien für nachhaltiges Wachstum und Risikomanagement beim langfristigen Investieren
In vielen Familien, wie auch in meiner, wurde die Börse lange als mysteriös und riskant betrachtet. Die Berichte in den Medien und die Darstellung in Filmen lassen oft den Eindruck entstehen, dass Börsengeschäfte ein Glücksspiel sind, das nur für Experten geeignet ist. Doch in Wirklichkeit kann die Börse ein kraftvolles Werkzeug für den langfristigen Vermögensaufbau sein – wenn man die Mechanismen versteht und eine kluge Strategie verfolgt.
In diesem Artikel möchte ich nicht nur erklären, wie Anlegen und die Börse funktionieren, sondern warum sie eine bedeutende Rolle in der Vermögensplanung spielen und welche praktischen Schritte man unternehmen kann, um die Chancen zu maximieren.
Marktplatz für langfristiges Wachstum
Die Börse ist ein Marktplatz, auf dem Anteile an Unternehmen (Aktien) sowie andere Finanzinstrumente wie Anleihen, Rohstoffe oder Fonds gehandelt werden. Investoren kaufen Aktien, weil sie davon ausgehen, dass das jeweilige Unternehmen in Zukunft erfolgreich sein wird, was den Wert der Aktien steigen lässt. Wenn man eine Aktie erwirbt, bedeutet das, dass man einen kleinen Teil des Unternehmens besitzt und dadurch an seinem wirtschaftlichen Erfolg partizipiert.
Beispiel: Hätten Sie 2010 10.000 Euro in den S&P 500 investiert, einen Index, der die 500 größten börsennotierten US-Unternehmen abbildet, hätte sich Ihre Investition bis 2023 auf etwa 56.000 Euro gesteigert.
Diese Wertsteigerung resultiert aus dem langfristigen Wachstum der Unternehmen, die in diesem Index vertreten sind. Ein Börsenindex wie der S&P 500 spiegelt die Entwicklung vieler großer Unternehmen wider und gibt einen Überblick über die allgemeine Wirtschaftslage. Das Beispiel zeigt, dass Investitionen an der Börse trotz kurzfristiger Schwankungen auf lange Sicht positive Renditen erzielen können.
Oft wird die Börse fälschlicherweise nur als Spekulationsinstrument gesehen. In Wahrheit bietet sie auch die Möglichkeit, am langfristigen Wirtschaftswachstum teilzuhaben. Durch den Kauf von Aktien unterstützt man Unternehmen dabei, Kapital für ihre Expansion oder Innovationen zu gewinnen, was letztlich die Wirtschaft als Ganzes fördert.
Wie kann man mit Aktien Geld verdienen?
Es gibt zwei Hauptquellen für Gewinne aus Aktien: Wertsteigerung und Dividenden.
Wertsteigerung: Die Aktien, die man besitzt, steigen im Wert, wenn das Unternehmen erfolgreich ist und sein Marktwert steigt.
Beispiel: Sie kaufen eine Aktie für 100 Euro, und nach einem Jahr ist sie 120 Euro wert – das entspricht einem Kursanstieg von 20 Prozent. Dieser Anstieg kann verschiedene Gründe haben, unter anderem die positive Geschäftsentwicklung des Unternehmens. Wenn beispielsweise das Unternehmen seinen Umsatz steigert, die Gewinne erhöht oder zukunftsweisende Strategien verfolgt, verbessert sich die Bewertung des Unternehmens an der Börse. Investoren antizipieren, dass das Unternehmen langfristig erfolgreich sein wird, was die Nachfrage nach den Aktien erhöht und dadurch den Kurs steigen lässt.
Die Wertsteigerung des Unternehmens, die oft durch Kennzahlen wie Gewinnwachstum, Steigerung des Umsatzes, Margenverbesserung oder Marktanteilsgewinne abgebildet wird, wird in der Regel in einer höheren Marktkapitalisierung reflektiert. Die Marktkapitalisierung (Aktienkurs multipliziert mit der Anzahl der ausgegebenen Aktien) spiegelt den Gesamtwert des Unternehmens wider. Wenn der Unternehmenswert steigt, zum Beispiel weil Gewinne nachhaltig wachsen, steigt auch der Aktienkurs, wodurch Aktionäre von der Wertsteigerung profitieren.
Für Anleger bedeutet dies: Der steigende Aktienkurs führt zu einem potenziellen Verkaufsgewinn, den man als Kursgewinn bezeichnet. Im obigen Beispiel wären das 20 Euro Kursgewinn pro Aktie. Dieser Gewinn entsteht also direkt durch die steigende Bewertung des Unternehmens, die auf den Erfolg des Unternehmens am Markt zurückzuführen ist.
Dividenden: Einige Unternehmen zahlen einen Teil ihres Gewinns als Dividenden an ihre Aktionäre aus.
Beispiel: Sie besitzen 100 Aktien eines Unternehmens, das eine Dividende von zwei Euro pro Aktie ausschüttet. Sie erhalten also jährlich 200 Euro zusätzlich zur möglichen Wertsteigerung des Aktienkurses. Aber wie wird diese Dividende festgelegt?
Die Dividende ergibt sich aus den Gewinnen des Unternehmens, die es erwirtschaftet hat. Jedes Jahr analysiert das Management des Unternehmens, wie viel Gewinn zur Verfügung steht und ob es wirtschaftlich sinnvoll ist, einen Teil davon an die Aktionäre auszuschütten. Die Höhe der Dividende wird von der Unternehmensführung vorgeschlagen, aber letztendlich entscheidet die Hauptversammlung der Aktionäre darüber. Die Aktionäre stimmen darüber ab, wie viel von den Gewinnen in Form von Dividenden ausgezahlt wird und wie viel im Unternehmen verbleibt, um für künftige Investitionen, Schuldenrückzahlungen oder zur Stärkung der Finanzreserven verwendet zu werden.
Dabei hängt die Dividende von verschiedenen Faktoren ab: Wie profitabel war das Unternehmen? Wie hoch sind die zukünftigen Investitionspläne? Gibt es Unsicherheiten im Marktumfeld? Unternehmen, die stabile Gewinne erzielen, schütten oft regelmäßig Dividenden aus. Andere Unternehmen, besonders solche in Wachstumsphasen, entscheiden sich, Gewinne zu reinvestieren, anstatt sie an die Aktionäre auszuzahlen. Kurz gesagt: Die Dividende ist ein Teil des Unternehmensgewinns, der auf Beschluss der Hauptversammlung an die Aktionäre ausgeschüttet wird. Ihre Höhe ist abhängig von der Geschäftsentwicklung und der Strategie des Unternehmens.
Warum ist langfristiges Investieren der Schlüssel zum Erfolg?
Globale Ereignisse wie Pandemien, geopolitische Konflikte oder technologische Durchbrüche können kurzfristig starke Auswirkungen auf den Aktienmarkt haben. Marktschwankungen sind dabei normal und zu erwarten. Der Schlüssel zum Erfolg liegt darin, einen kühlen Kopf zu bewahren und nicht bei jedem Auf und Ab zu reagieren. “Die Börse ist ein Mechanismus, um Geld von den Ungeduldigen zu den Geduldigen zu transferieren”, sagte Warren Buffett, einer der erfolgreichsten Investoren aller Zeiten. Langfristig tendieren die Märkte jedoch dazu, sich von solchen Schocks zu erholen und weiter zu wachsen. Kurzfristige Schwankungen an der Börse sind völlig normal. Doch der wichtigste Aspekt erfolgreicher Börsenstrategien ist die Langfristigkeit.
Praktischer Tipp: Wer regelmäßig investiert und breit streut, profitiert vom sogenannten “Zinseszinseffekt”. Auch wenn kurzfristige Verluste auftreten, gleicht die langfristige Aufwärtsentwicklung des Marktes diese Schwankungen oft aus.
Ein langes Investment in breit gestreute Indizes wie den S&P 500 oder den MSCI World hat in den letzten Jahrzehnten beeindruckende Renditen geliefert. Selbst während Finanzkrisen erholen sich breit gestreute Märkte langfristig. Aber warum ist das so?
Breit gestreute Indizes umfassen viele Unternehmen aus unterschiedlichen Branchen und Regionen, wodurch das Risiko einzelner Firmen oder Sektoren stark reduziert wird. In einem Index wie dem S&P 500 sind beispielsweise die 500 größten börsennotierten Unternehmen der USA vertreten, während der MSCI World Unternehmen aus über 20 Industrieländern abdeckt. Diese Diversifikation sorgt dafür, dass Verluste einzelner Unternehmen oder Branchen oft durch Gewinne in anderen Bereichen ausgeglichen werden können.
Langfristig spiegelt der Wert eines Index den allgemeinen wirtschaftlichen Fortschritt wider. Unternehmen passen sich an, wachsen, innovieren oder werden durch neue, leistungsfähigere Firmen ersetzt. Selbst während Finanzkrisen oder wirtschaftlicher Abschwünge erholen sich die Märkte langfristig, weil sich die Wirtschaft als Ganzes oft regeneriert. Unternehmen restrukturieren sich, neue Technologien und Geschäftsmöglichkeiten entstehen, und wirtschaftliche Zyklen führen nach Abschwüngen häufig zu Phasen starken Wachstums.
Ein weiterer Faktor ist, dass Indizes regelmäßig angepasst werden. Schwächelnde Unternehmen werden aussortiert und durch erfolgreiche, aufstrebende Unternehmen ersetzt. Das bedeutet, dass der Index kontinuierlich eine Art “natürliche Selektion” durchläuft, bei der starke Unternehmen langfristig dominieren. Dies trägt ebenfalls dazu bei, dass breit gestreute Märkte langfristig Renditen erzielen. Zusammengefasst: Langfristige Investitionen in breit gestreute Indizes profitieren von der Diversifikation, der Anpassungsfähigkeit der Wirtschaft und der kontinuierlichen Erneuerung der im Index enthaltenen Unternehmen.
Beispiel: Wer zur Hochzeit der Dotcom-Blase investiert hat, erlebte teils massive Verluste. Wer jedoch langfristig an seinen Positionen festhielt und in einem diversifizierten Portfolio investiert hat, konnte über die Jahre dennoch positive Renditen erwirtschaften.
Zusätzlicher Einblick: Viele professionelle Investoren, wie zum Beispiel Warren Buffett, haben sich für eine langfristige Strategie entschieden. Sie setzen auf Unternehmen, die nachhaltig wachsen, und halten ihre Positionen über Jahre hinweg – oft sogar Jahrzehnte. Dies schützt nicht nur vor emotional getriebenen Fehlentscheidungen, sondern nutzt die Zeit als größten Verbündeten des Investors.
Risiken und wie man sie besser versteht
Die Börse bietet zwar Chancen auf Rendite, ist jedoch nicht risikofrei. Anleger müssen sich darüber im Klaren sein, dass es Perioden geben kann, in denen die Kurse stark schwanken oder sogar Verluste auftreten. Um diese Risiken besser zu verstehen, ist es wichtig, die verschiedenen Arten von Risiken zu unterscheiden. Es gibt unter anderem Marktrisiken und unternehmensspezifische Risiken. Weitere Risiken stehen mit makroökonomischen Zusammenhängen in Verbindung, wie das Zinsänderungsrisiko und das Währungsrisiko.
- Das Marktrisiko betrifft das Risiko von Schwankungen im gesamten Finanzmarkt, ausgelöst durch wirtschaftliche oder politische Entwicklungen. Ein prägnantes Beispiel dafür ist die Finanzkrise von 2008, als weltweite Unsicherheiten zu drastischen Kurseinbrüchen führten. Solche Ereignisse können Verluste nach sich ziehen, die nicht nur einzelne Unternehmen, sondern den gesamten Markt betreffen.
- Das unternehmensspezifische Risiko hängt von der finanziellen Lage und den Zukunftsaussichten einzelner Unternehmen ab. Hierzu zählen Risiken wie sinkende Umsätze, Managementprobleme oder finanzielle Engpässe. Beispielsweise können schlechte Quartalsergebnisse oder ein Führungswechsel dazu führen, dass die Aktien eines Unternehmens an Wert verlieren, auch wenn der Gesamtmarkt stabil bleibt.
- Zinsänderungsrisiko: Da Zinssätze oft von den Zentralbanken kontrolliert werden, beeinflussen deren Änderungen die Attraktivität von Aktien und Anleihen. Wenn die Zinssätze steigen, können festverzinsliche Anlagen wie Anleihen attraktiver werden als Aktien, was wiederum zu einem Abverkauf von Aktien und Kursverlusten führen kann.
- Währungsrisiko: Für Anleger, die in ausländische Aktien oder Anleihen investieren, spielt das Währungsrisiko eine Rolle. Schwankungen des Wechselkurses können die Rendite von Anlagen in Fremdwährungen beeinflussen, was je nach Marktbedingungen die Gewinne steigern oder mindern kann.
Wie man Risiken minimiert und Chancen maximiert
Risikomanagement durch Verlustbegrenzung: Setzen Sie Stop-Loss-Orders (automatischer Verkauf ab einem bestimmten Zeitpunkt) oder ähnliche Instrumente (wie Absicherungsmöglichkeiten durch Hedging) ein, um Verluste zu begrenzen, falls eine Aktie stark fällt. Dies schützt vor größeren Verlusten in einem volatilen Marktumfeld.
Absicherung durch unkorrelierte Anlageklassen: Neben Aktien können Sie in unkorrelierte Anlageklassen wie Anleihen, Gold oder Immobilien investieren. Unkorrelierte Anlageklassen heißt, keine signifikante Korrelation oder Abhängigkeit zu anderen Anlageklassen oder Wertpapieren aufzuweisen. Dies bedeutet: Wenn der Wert einer Anlageklasse fällt, steigt im Gegenzug der Wert einer anderen Anlageklasse. Diese kann das Portfolio stabilisieren, wenn es an den Aktienmärkten zu größeren Schwankungen kommt. Dennoch sei angeführt, dass es Jahre geben kann, in denen die Korrelation zwischen den Anlageklassen steigt und eine gewünschte Stabilisierung folglich nicht erreicht werden kann.
Beachtung der Liquidität: Sorgen Sie dafür, dass Sie immer ausreichend liquide Mittel zur Verfügung haben, um auf Marktchancen reagieren oder Verluste decken zu können, ohne Vermögenswerte zu ungünstigen Preisen verkaufen zu müssen.
Wer diese Grundsätze beherzigt, kann das Risiko minimieren und auch in volatilen Marktphasen von den langfristigen Chancen der Börse profitieren. (Bernhard Führer, 4.11.2024)
Bernhard Führer ist Gründer und Leiter der unabhängigen Vermögensplanungsgesellschaft Strategy & Plan sowie der Vermögensverwaltung TKA Funds, Autor, Dozent und Betriebswirt. Der Artikel erscheint ebenfalls auf seinem Corporate-Blog “Daily Economist”.
Quellen
Rajaratnam, B. Rajaratnam, K. Rajaratnam (2014). A novel equity valuation and capital allocation model for use by long-term value-investors.
Xiaoyu Sun, Maocheng Yuan, Jinhua Feng (2019). Modeling of the Return and Risks of Investments Using Different Trading Strategies.